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„Es war ein mal“ – Einzelausstellung Carine Doerflinger in der Orangerie im Hofgarten in Kirchberg/Jagst – Raum für Pflanzen
14. September 2014 - 11 Uhr

Vasen bemalt mit Blumen, eine Gießkanne geziert mit einer großen Reliefblüte, blumenförmige Häkeltischdeckchen, Postkarten mit gedruckten Blumenbuketts, Gartenscheren mit Blütenranken staffierten Kunststoffgriffen…. Dies sind nur einige Gegenstände, die uns in der vielschichtigen Rauminstallation von Carine Doerflinger begegnen. Sofort sind unsere Sinne hell erwacht. Wir sehen, riechen, schmecken, wollen tasten und unzählige Bilder drängen sich vor unserem geistigen Auge. „Es war ein mal…“. Eine unter vielen Assoziationen, die entstehen. Die Bildhauerin Carine Doerflinger hat in dem Ausstellungsraum der Orangerie im Hofgarten Kirchberg eine intime Raumsituation geschaffen, die nicht nur unzählige Bilder in einem spannenden Gesamtensemble präsentiert, sondern auch unzählige Bilder bei dem Betrachter frei werden lässt - mit vielen Schätzen von damals wie heute, die uns sofort ansprechen, faszinieren und anregen. Es sind allvertraute Gegenstände aus dem Alltag, die in Verbindung mit der Pflanzenwelt stehen. Über fünfzig Stücke hat die Künstlerin aus der hier stattgefundenen Ausstellung mit dem Titel „Kirchberger Kabinett der Dinge“ gewählt. Es war April 2013, als die Kirchberger Bürger Gegenstände in Beziehung zu der Pflanzenwelt zusammentrugen, um diese der Ausstellung zur Verfügung zu stellen. Carine Doerflinger zeigt diese nun in neuem künstlerischen Kontext, Verarbeitung und Weiterentwicklung:

Eine mit roten Rosen bemalte Kugelvase ist mit drei Gartenscheren bestückt. Letztere stammen aus dem Fundus der Künstlerin selbst. Die Scheren wurden durch Schleifen und Polieren in ihren ursprünglichen Materialzustand zurückgeführt. Anstelle von Blumen zieren sie nun die Vase. Die grüne Gießkanne ist ein Klassiker der Gartenwelt. Aus ihrem Ausguss kommen Wasserstrahlen aus Gummischläuchen – ein beliebtes Werkmaterial der Künstlerin. Auf einem gusseisernen Kerzenständer mit Blattranken sind Glühbirnen installiert. Sie sind aus Gips gegossen. Ein mit stilisiertem Blattwerk staffierter Keramikteller ist mit Spaghetti aus Gummibändern gefüllt, hier spricht der Witz, welcher im Werk und Persönlichkeit der Künstlerin stets immanent ist. Aus einem Kaffeekern mit Blumendekor quillt nun roter Kunststoffschaum. Die Signalfarbe Rot mit einem großen Deutungsspektrum zieht sich wie ein roter Faden durch das Schaffen der Bildhauerin. Carine Doerflinger entwickelt die geliehenen Objekte inhaltlich nicht nur mit den ihr vertrauten Werkstoffen, sondern auch mit Objekten, die sie selbst als leidenschaftliche Sammlerin der Dingwelt in ihrem eigenen Fundus entdeckt hat, weiter. Aber sie geht auch darüber hinaus. Es entstehen Verbindungen zwischen Werken aus dem Depot der Künstlerin und den geliehenen Exponaten, Weiterentwicklungen bereits begonnener Werkideen sowie ganz neue Werke. Alles ist im Fluss, im Wechselspiel, findet zueinander und steht miteinander in Verbindung.
2008 erarbeitet Carine Doerflinger das Werk „Kristalle“. Aus den Negativformen von Medikamentenpillen gießt sie Kunstharzpositive und ordnet sie in die Form eines Kristalls bzw. einer Schneeflocke, oder nicht doch einem Spitzendeckchen? Diese Formparallele entdeckt Carine Doerflinger in der Folgezeit. Schon lange kennt sie dieses Accessoire. Die gehäkelten Tischdecken sind ihr während ihrer Kindheit, auf den Streifzügen über Flohmärkte und nun bei den Ausstellungsobjekten aus Kirchberg begegnet. Sie findet sie seltsam und gleichsam faszinierend. In ihrem Atelier entstanden längst Abformungen aus Gips. Hier in dieser Werkschau dienen die Deckchen als Schablonen und zieren einige Ausstellungsflächen als Abdrucke aus Erde. Ein Wechselspiel der Beschaffenheit von Materialien. Hart wird weich, weich wird hart. Eine Freude an der Umkehrung bei der Formgebung. Aus positiv wird negativ und umgekehrt. Die spontane Vertrautheit mit den gewohnten Gegenständen ist irritiert.

Eine ganz neue Arbeit entstand im Zusammenhang zum Schautitel „Es war ein mal“. Auf runden Holzscheiben liegen blumenförmig angeordnet acht Messer. Sie sind aus Hartgips gegossen und schwarz gelackt. Ihre Klingenspitzen zeigen auf fünf Begriffe, die in Französisch auf die hölzernen Messerbänkchen gedruckt sind: „un peu, beaucoup, passionnement, à la folie, pas du tout“. Er/sie liebt mich….ein bisschen/ganz arg/leidenschaftlich/zum verrückt werden/überhaupt nicht. Fühlen sie sich amüsiert? Sind Erinnerungen geweckt? Und haben sie ein Gefühl der Leichte? Es war einmal und es ist, generationen- und länderübergreifend, dieses Spiel um die Liebe. Wieder lockt uns die Künstlerin mit etwas, was uns vertraut ist, was wie ein Spiel erscheint. Spielt sie mit uns Betrachtern? So mag man es verstehen. Das harte Material des Messers versus der weichen Beschaffenheit einer Blüte, Gewalt versus Liebe, beides mit positiven wie negativen Dimensionen. Eine doppelte Umkehrung gewohnter Begebenheiten, die neue Sinnbezüge schaffen und unseren Seh- und Deutungssinn ins Wanken bringen.
Dies wird auch augenscheinlich, wenn man auf den zweiten Blick erkennt, dass die Kartenhalter Gipsgüsse von Hühnerkrallen sind und sich hinter den organisch-ästhetischen Objekten in den schwarz gelackten Rahmungen Schweinsohren verbergen. Es wirkt ganz leicht und unbeschwert, wie Carine Doerflinger aus dem Gewöhnlichen und scheinbar Hässlichen ästhetische Artefakte zaubert, wie sie uns durch das Prinzip der Umkehrung schnell deutlich macht, es lohnt sich einmal losgelöst von Spezifizierung und herkömmlichen Deutungen, andersherum zu sehen und zu denken.
Es sind nicht nur Hühnerkrallen, Schweinsohren, sondern Zecken, Speckwürmer, Schlangen, Maulwürfe und Mäuse, die Carine Doerflinger faszinieren. Kreaturen der Natur, die wir eher als Randspezies betrachten. Hier zeigt sich eine Parallele zur Pflanzenwelt, die Carine Doerflinger privat seit jeher begeistert. Als Künstlerin reizt sie die organischen Formen und ästhetischen Strukturen, die sie herausgreift und uns in den Fokus stellt. Es ist zudem die Ordnung innerhalb der Unordnung, was die Künstlerin extrem spannend findet. Wieder das Prinzip der Umkehrung zweier Pole, welches sich auch im Hinblick auf die Gesamtkonzeption der Installation wiederfindet.
Die Videoinstallationen komplementieren das räumliche Installationskonzept und verdichten die Werkintention von Carine Doerflinger. Seit der Studienzeit beschäftigt sie sich mit dem Medium des Films, und sucht auch hier eine Wahrnehmungsreflexion über das alltägliche Leben anzustoßen.

Doch wie entstehen eigentlich die Werke von Carine Doerflinger? Betritt man ihr „Ateliers 10“ in der alten Fabrikhalle in Karlsruhe/Ettlingen, steht man inmitten einer Schatzkammer an Materialien, Werkzeugen und Kunstwerken, die das intensive und lange Arbeiten der Bildhauerin offensichtlich machen. Einmal mit der Tätigkeit begonnen, ist eine Energiequelle bei der Künstlerin angefixt, die kaum zu stoppen ist. In einem unaufhörlichen Kreislauf folgt Idee auf Idee. Sie produziert, verwirft, stellt es auf die Seite und nimmt wieder neu auf. So entstehen intuitiv und prozesshaft einzelne Werkkomplexe, die weiterentwickelt und schließlich in einem konzeptionellen Ganzen zusammengefügt werden. Dabei sind die Werkstoffe von großer Wichtigkeit. Textilien, Schaumstoff, Keramik, Gips, Zement, Harz, Holz, Marmor, Kunststoffe, Metalle…. hier kann die Künstlerin kaum Grenzen akzeptieren und kann daher sehr obsessiv und beharrlich in der Auseinandersetzung mit der Materialfindung sein. Wichtig dabei sind die ästhetischen Qualitäten der Materialien. Immer auf der Suche nach der bestmöglichen Umsetzung ihrer Ideen müssen sie funktionieren, wenn die Künstlerin via Umwandlung von weich und hart, negativ und positiv unsere gewohnten Sichtweisen auf den Kopf stellen möchte. Dabei entpuppt sich hinter der ästhetischen Staffage der witzig, narrativ und ästhetisch angeordneten Dingwelt eine intensive Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Themen, die nicht von der Persönlichkeit der Künstlerin abzukoppeln sind. Humorvoll, ironisch und mit Tiefgang. „Es war ein mal…“ eröffnet vor diesem Hintergrund auch Denkanstöße, die Carine Doerflinger anreicht: Vergänglichkeit, das Überdenken altüberkommener Gepflogenheiten, aber auch das Pflegen bewährter Traditionen, Konsum, materieller Überfluss, die Sehnsucht nach materieller Befreiung, Kapitalismus, Überreizung der Sinneswelt, um hier nur einige zu nennen…
Am Ende liegt wie ein zarter blumiger Duft ein poetischer Moment über alledem, wenn wir sowohl beim Eingang als auch beim Ausgang der Ausstellung die Lettern auf dem Großen „Lebkuchenherz“ aus Hartgips lesen „au gré du vent“ - „Vom Winde verweht“ und uns in einem gewissen Geheimnis der Welt belässt.

Lena Berkler M.A.




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Carine Doerflinger, pro arte kunstiftung ulm, 2014

Was das Meer ist, darum darf man am wenigstens
 die Fische fragen. Nur höchstens, dass es nicht
aus Holz ist, erfährt man von ihnen.
Hugo von Hoffmansthal

Ist das Leben schön? Was ist das Glück? Carine Doerflinger stellt in ihrer Kunst Fragen. Es sind elementare, existentielle Fragen, die oft ohne Umschweif in Form von Sprache in Erscheinung treten.
Seit ihren Anfängen arbeitet die Künstlerin mit Schriftbildern, mit Wortfeldern, mit gesprochener, aufgenommener Sprache. Ihre Kunst scheint in hohem Maße Befragung, was Philosophie im erweiterten Sinn genannt werden kann, zumal sie nicht nur eine Infragestellung ist, die eine selbstreflexive Haltung miteinschliesst, sondern auch Antwort in Form von sinnlichen Objekten, die diesen Denkprozess veranschaulichen. Die Beziehung zwischen Zeichen und Bedeutung geht in ihrer Bildfunktion über das Semantische hinaus. Eher beschreibt sie eine Kreisbewegung, die auf sich selbst und das heisst auf den künstlerischen Schaffensprozess verweist.
Carine Doerflinger schreibt mit rotem Faden, mit Beton, mit Gips oder Kunstharz. Dabei schöpft sie aus dem Leben, das reichhaltig Stoff bietet. Die Frage jedoch ist: Welche Form wählt die Künstlerin? Welches Material ist dem Stoff angemessen?
Carine Doerflingers Kunst spricht die Sprache der Schönheit, auch nach der Postmoderne. Und das bedeutet, dass sie nicht nur von etwas spricht, sondern dass sie in erster Linie ist. Ihre Werke verkörpern, was wir schön nennen. Aber was ist Kunst? Sie ist primär Artikulation. Im Werk Alphabet von 1998 kommt dies treffend zum Ausdruck: hiefür wurden die Mundstellungen beim Buchstabieren der Vokale in weiches Gummi gegossen. Diese Mitteilung über unseren Körper ist unmittelbar und ästhetisch. Und sie verweist auf die Funktionsweise von Kunst, in der das Verhältnis zwischen Form, Stoff und Aussage immer wieder neu formuliert wird.
Man könnte sagen, Carine Doerflinger geht die Sache, die Kunst ist, von der Wurzel her an. Immer wieder sucht sie den Dingen und Emotionen auf den Grund zu gehen, wobei sie nach neuen technisch-ästhetischen Lösungen sucht und keinen Aufwand scheut. Das geschaffene Objekt zeigt unter anderem, was es bedeutet, Künstlerin zu sein.
In der Arbeit Keine Zeit aus dem Jahr 2012 wird die dem Künstler fehlende Zeit thematisiert. Zwänge und alltägliche Notwendigkeiten können ihn zur Verzweiflung bringen, zumal die ästhetischen Möglichkeiten nahezu unendlich sind und er gezwungen ist, eine Auswahl zu treffen. Das Karrussell der Gegebenheiten lenkt ihn ab, auch wenn das Hirn oder der Computer angeschaltet ist. Der Weg von der Idee bis zur Verwirklichung ist meistens mit Steinen gepflastert, der Künstler muss vor- und zurückgehen, ausprobieren, verwerfen, geeignetes Material oder die entsprechende Finanzierung finden. Die Installation mit dem häuslichen Fussabtreter, in den die Beschriftung "Keine Zeit" eingeflochten ist, bringt diesen Arbeitsprozess auf den Punkt, wobei sie mitunter auch davon sprechen kann, im Alltag keine Zeit für die Kunst zu haben. Das grosse ON aus Beton scheint auf diesen Druck, diesen Zwang zur Produktion hinzuweisen.
Zudem spricht diese Installation über und zu jedem Arbeitenden. Denn wofür hat ein in Arbeit eingespannter Mensch unserer technisierten Welt denn Zeit? Er geht in der Früh, kommt spät nach Hause und hinterlässt nur Spuren auf dem Schuhabtreter.
Bisweilen geht er im Wald spazieren und hinterlässt Spuren in der weichen Erde. Oder er legt sich einen Garten zu. Und hegt und pflegt ihn. Dabei weiss er genau, dass er sich letztlich im Kreis dreht, auch wenn er ein viereckiges Feld abläuft (Labyrinth, 2011).
Die neue Lebenssituation der Künstlerin schlägt sich im Werk nieder. Die Land- und Gartenluft wird in einer Fülle von Arbeiten unter dem Titel Gärtners Alptraum thematisiert.
Der Gärtner, der das Land bestellt, kann als Pendant zum Künstler gesehen werden, eine Art Seelenverwandter, der im Kampf mit und manchmal gegen die Natur an der Schönheit seiner Erzeugnisse arbeitet. Von Unkraut, Maulwürfen oder dem zerstörerischen Wetter angegriffen, wird die Zucht von Gemüse zur Herausforderung. Und hat er einmal Ordnung geschaffen, fällt ein Flugzeug vom Himmel.
Der Humor kommt bei Carine Doerflinger nicht zu kurz, er taucht hier in Form von Überwachungskameras, Maulwürfen oder Propellern auf. Im Übrigen weist die Künstlerin uns darauf hin, dass auch ein Garten letztlich ein Kulturprodukt ist, das von Plastik durchzogen ist. Carine Doerflinger verklärt die Natur nicht, aber sie zeigt uns ihre faszinierende Vielfalt, die von der Flora bis zur Fauna reicht, vom Kaktus über die Laus bis zu den Pilzen, die sie künstlerisch in hybride Objekte verwandelt.
Die pilzähnlichen Stelen auf Astbeinen scheinen seltsam antropomorph, sie wirken selbstbewusst, aber auch anmutig und äusserst poetisch.
"In den Wäldern sind Dinge, über die nachzudenken man jahrelang im Moos liegen könnte" schrieb Franz Kafka. Dieser Einsicht kann man nur beipflichten, zumal ein Gärtner weiss, dass die für ihn entscheidenden Dinge unter der Erde geschehen.
Carine Doerflinger scheut sich nicht davor, repräsentativ zu sein. Denn das Schöne ist nicht nur Zierde, sondern Alltag, es findet sich in allen Erscheinungsformen und besonders in der Natur. Sei es in einem Blatt, einer Topfpflanze oder im Astwerk der Bäume - alles in der Natur ist gestaltet und insofern ästhetisch faszinierend. Die Schönheit ist der erste Anknüpfungspunkt, den der Künstler zur Natur hat. Und da er in der Regel genau hinsieht, vergisst er nicht, dass die Natur keine romantische Kategorie ist, sondern ein harter Überlebenskampf. Die Adern der Blätter sind keine Frivolität, sondern Wasserleitungen. Die Fäden, Schnüre, Schläuche und Gummiseile zeugen von dieser Angeschlossenheit an das Leben. In Carine Doerflingers Werk haben diese Schlauch- oder Fadenverbindungen immer auch eine existentielle Komponente. Der menschliche Körper ist durchzogen von Adern, Sehnen, Nerven und sonstigen Leitungen, durch die die Säfte zirkulieren. Oder eines Tages einfach aufhören, zu fliessen.
Hier kommt Autobigraphisches ins Spiel. Als ehemalige Krankenschwester greift Carine Doerflinger auf ihre Erfahrungen im Spital zurück, weshalb in ihrer Kunst bisweilen auch Geräte aus dem Operationssaal auftauchen.
In der Arbeit Kehrwoche aus dem Jahr 2011 kommt diese Affinität zu medizinischen Formen im hängenden Tuch mit dem wissenschaftlichen Aufdruck zum Tragen. Die alltägliche Arbeit des Kehrens kostet Schweiss und Nerven, die Eimer sind schwer wie Blei, dabei muss der oder die Putzende funktionieren. Sie darf weder krank noch schwach sein. Doch Arbeiten dieser Art sind, vor allem wenn sie schlecht oder gar nicht bezahlt sind, unzweifelbar ein Verschleiss und machen krank, auch wenn sie euphemistisch Raumpflege genannt werden. Die Arbeit geht förmlich auf Kosten der Gesundheit. Und das heisst, dass sie an die Substanz geht.
Das Politische und Kritische ist in Carine Doerflingers Kunst gegenwärtig. Die Plüschtiere in der Installation Kleine Geschichten aus dem Alltag von 2004-2009 verweisen auf die alltäglichen Dramen im Kinderzimmer, auf Geburt und Tod. Das Abgründige eröffnet sich erst auf den zweiten Blick. So sind in einer Reihe Plüschtiere Aufnahmegeräte und Lautsprecher eingebaut; auf Knopfdruck erzählen sie vom schlimmsten Moment ihres Lebens. Der Kontrast zwischen dem Niedlichen und Schockierenden erzeugt Spannung und regt den Betrachter zur Befragung seiner eigenen Kindheit an.
Gartenarbeit oder ein Stück Rasen können in Krisensituationen ein Notausgang sein (Notausgang, 2011). Hier wird ein grüner Faden abgespult. Aber die Arbeit bleibt, wie der Stoff der Schicksalsgöttinnen, abstrakt, denn niemand weiss, was für ein Muster sie weben. Das Leben wird oft mit einem Labyrinth verglichen, in dem man immer wieder den roten Faden finden muss. Ariadne schenkte Theseues einen roten Faden, damit er sich im Labyrinth des Minotaurus zurechtfand. Carine Doerflingers Kunst spannt den Faden weiter, ja sie findet darin ihren existentiellen Ausdruck und beschenkt uns dadurch mit grossartiger Kunst.

Christine Pfammatter, 2014




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Carine Doerflinger begann ihr Studium im Bereich der Bildhauerei 1992 an der Karlsruher Kunstakademie. Schon 1993 trat sie mit ersten Arbeiten hervor, die ein hohes Maß an Eigenart besaßen.
Ich wurde auf sie aufmerksam und konnte seither ihre Entwicklung verfolgen. Ungemein aktiv und zugleich reflexiv in ihren Formulierungen einer eigenständigen künstlerischen Ausdrucksweise, blieb sie ihrer schon in ihren ersten Arbeiten anklingenden Auseinandersetzung mit körperlichen Befindlichkeiten treu.
Carine Doerflingers Arbeit und Denken zeichnet einerseits eine Vielfalt an Ansätzen in unterschiedlichen Medien und andererseits eine Stringenz im konzeptuellen aus. Beide Komponenten finden zu einer spannenden Balance in Prozessen der Visualisierung. ÜberraschendeAnschaulichkeit ist ein Charakteristikum, das jedem einzelnen Projekt eine eigene Note verleiht.
Die Künstlerin variiert keineswegs einmal formulierte Bildlösungen,sondern findet stets zu einer Bildsprache, in der thematische Vorgabe, technische Umsetzung, materieller Bezug und künstlerische Form zu einer konzentrierten Aussage führen.
Seit Abschluss 1998 ihres Studiums konnte Carine Doerflinger ihrer Professionalität noch erheblich steigern und anspruchsvolle Projekte realisieren. Intensität, hartnäckiges Verflechten ihrer Ideen, und deren Umsetzung in unterschiedlichen Medien, kennzeichnen ihren Werdegang.

Prof. Dr. Franzke, September 2004




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Die Bildhauerin Carine Doerflinger im Porträt

Mensch in täglicher Manipulation
Gebürtige Straßburgerin studierte an der Karlsruher Kunstakademie

Das Atelier befindet sich in einem Hinterhof in der Karlstraße, ein großer, heller Raum, geräumig genug deshalb, weil die Kunstwerke sorgsam verpackt an der Wand aufgereiht stehen. Ein Ort, der Platz bietet für die raumgreifenden Arbeiten von Carine Doerflinger. Und doch ein Ort mit Tücken: Es regnet durchs Dach.
So stehen neben der Kunst die alltäglichen Sorgen: die Suche nach günstigem Atelierraum, nach einem zusätzlichen Job, der die Finanzen stützt und doch genügend Zeit lässt für das Eigentliche. Doch Umwege zu gehen, ist Carine Doerflinger gewöhnt.
Es hat sie ausdauernd, widerstandsfähig gemacht.
Die Sehnsucht nach Kunst stellte sich früh ein. Zunächst aber arbeitete die gebürtige Straßburgerin als Laborantin und Krankenschwester in der Psychiatrie. Als sie dann mit 32 Jahren doch den Schritt wagt, scheint es für ein Kunststudium fast zu spät. Zumindest in Frankreich, nicht aber in Deutschland; an der Karlsruher Akademie besucht sie die Bildhauerklassen von Balkenhol und Klingelhöller, wird Meisterschülerin und erhält 1998 ihr Diplom. Eine beschützte Zeit, wie Doerflinger meint. Und seitdem?
Viele gute, manchmal nur lehrreiche Schritte hat sie getan. Zu ersteren zählt der Auftrag für Kunst am Bau für die Frauenklinik Michelsberg in Ulm vor drei Jahren.
Carine Doerflinger entwarf eine Art Pavillon für den Dachgarten des Gebäudes - ein Refugium jenseits der nach Desinfektionsmitteln riechenden Gänge und der auf ein Krankenblatt zusammen geschnurrten Biografien.
Die Welt der Kranken ist Doerflinger nie fremd geworden. Menschliche Organe auf ihre formalen Eigenschaften zu befragen, war ein möglicher bildhauerischer Ansatz.
Und doch erschöpfen sich die Arbeiten nicht in der Form allein. Der Bildschirm zeigt die plastische Form eines Herzens, weiß - aus Zucker. Rote Tropfen fallen hinab (oder werden ausgestoßen), bis sich das Herz blutrot gefärbt hat und einfällt. Der Mensch, ein Mechanismus aus funktionierenden Organen und etwas greiflich nicht Fassbarem - das versteht sich von selbst -, doch was weiß man darüber? Mit dem Skalpell ist die Frage nicht zu beantworten. Die mit Leukoplast umwickelten chirurgischen Instrumente der Arbeit "Bitte bedienen Sie sich" taugen nicht mehr zum Sezieren. Die Antwort auf die Frage nach dem Menschen muss woanders liegen.
Manche sagen, sie suche in ihren Werken immer und stets aufs Neue den Schmerz darzustellen. Man kann aber auch wie Carine Doerflinger anführen, dass hinter ihrer Kunst immer der Mensch stehe. Abgekoppelt von den gesellschaftlichen Verheißungen auf Glück und Reichtum, was ist er mehr als ein Wesen voller Sehnsucht und Angst?
Carine Doerflingers Arbeiten handeln oft von Deformationen, Zurichtungen. Als Bildhauerin hat sie viel stärker als ihre malenden Kollegen die Freiheit der Materialwahl. Auf eine Säule, die ein Seil zu Wülsten zusammen schnürt, projiziert sie ein Gesicht.
Im Videofilm presst sie ihr eigenes gegen eine Glasscheibe. Oder wird sie vielmehr gequetscht? Wieviel Energie im Alltag auch auf das äußere Erscheinungsbild gelegt werden mag, die Verzerrungen entlarven das so genannte Schöne und Natürliche als Manipulation.
Sie ist empfindlicher geworden gegen gesellschaftliche Einflüsterungen. Das Video "Les hommes ont des cerveaux, les femmes ont des cervelles" (im Deutschen gibt es kein Wort für ein weibliches Gehirn) erzählt von der alltäglichen geschlechtsspezifischen Gehirnwäsche. Langsam wird das Gehirn durch einen Fleischwolf gedreht, während eine Stimme stereotyp Lob und Anerkennung spendet: "Du bist schön, du bist klug..."
Im Französischen mit seiner Möglichkeit der weiblichen und männlichen Endung zeichnen sich die Unterschiede deutlicher ab.
Für Doerflinger bedeuten die kulturellen Unterschiede keine künstlerische Hürde. Auch ihre Arbeit, für die sie dieses Jahr das Stipendium der Kunststiftung Baden-Württemberg erhielt, basiert auf einem Sprachwitz. Fairefaire - ein roter Faden fährt den Refrain nach. Dass darin auch refaire (noch einmal machen) zu lesen ist, lässt die Stecknadeln, die den Faden lose fixieren, in einem anderen Licht erscheinen.

Dr. Karen Bork, B.N.N. Karlsruhe 19 August 2003




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Das Schlimmste ist: Man hat alles gleich wieder vergessen. Es ist schlimm deswegen, weil es die eigenen Assoziationen waren, der eigene Anspruch, zu verstehen, was Sache war - und ist. Aber da ist nichts Sache. Es geht zu schnell. Sie werden präsentiert, sind da - und vergessen. Das ist Fernsehen.
Es ist das Bild des Vergessens. Es ist das Bild des Verdrängens. Es ist das Konzept einer Bildröhre, die dem Betrachter Tiefe suggeriert, obgleich das Ganze immer auf einer flachen Scheibe projiziert wird. Es ist die Endlosschleife, die sich dem Betrachter einprägt, es ist die alte Technik aus dem frühen 20. Jahrhundert, und es ist, wenn sie bei Computerspielen modernisiert ist, die Technik der Kriegssimualation, die dem Betrachter die Tiefensimulation und die Geschwindigkeit aufdrückt. Als sei Raum und Geschwindigkeit alles, Inhalt nichts. so sind es weniger die Informationen, sondern die Wiederholungen, die diese instabile Bildform ausmachen.
Carine Doerflinger bedient sich dieser Maschinerie, sie bedient die Gepflogenheiten des Pantoffelkinos, und sie präsentiert den Star. Die gesamte Maschinerie der Medienwelt ist aufgeboten. In den Zeitschriften werden Texte erscheinen über Herrn Weibel beim Besuch dieser Ausstellung, das Foto dazu zeigt ihn, wie er Tomi Ungerer, der der gerade aus New York zurückkam, die Hand schüttelt. Das ist interessant und wichtig.
Auch er bedauert die Terroranschläge zutiefst. Einmal im Leben ein Star zu sein ist Maxime des POP. Einmal sich selbst zu sein: Sie selbst: Carine Doerflinger, die berühmte Produzentin, Kamerafrau und begehrte Hauptdarstellerin, bekannt aus Film, Funk, Fernsehen und Haute Cuisine. Sie ist heute hier. Sie gibt Autogramme. Zehn unterschiedliche Postkarten sind vorbereitet: Avocado im Lebenskamf, die berühmte LaBelle im Sturm des Lebens, Louise Pasteur, die unbeirrbare Chemikerin im Kampf mit dem Kunststoff, das Meer säuft ab, Siegfrieds Kampf mit dem Meeresungeheuer, das Drama zwischen Polyphem und Polyp, ein Haustier appelliert an uns, der Tod und das Mädchen. Die silberne Zitrone. Alle zehn. Die Titel sind Teil eines Programms. Das läuft ab. Hier und heute, ringsum, um uns umher, in uns. Nebenbei: Haben Sie es gemerkt: Ein Video habe ich vergessen. Aber Sie können es ja nachholen, wieder hervorholen, wiederholen. Na?
Vergessen sie es. Sie haben es schon vergessen. Es geht Ihnen ja dennoch gut. Und Sie wollen sich ja auch nicht daran erinnern lassen, dass Melancholie alles durchzieht. Dazu sind diese Videos zu kurz. Sie sind so kurz wie die Medienwissenschaft, ich habe mich versprochen, die Werbewirtschaft es will: Alles hat seine drei Minuten.
Darin muss alles gesagt, muss alles eingebettet sein: Die Form und, wenn es sein muss, auch der Inhalt. Das läuft in Quanters ab: Drei Minuten Pop-Musik, drei Minuten Pop-Nachrichten. Erfahren tut man nichts, aber demokratisch mitreden darf man. Jeder hat einmal seine drei Minuten: Maggi macht's möglich, und Carine Doerflinger steht da in nichts nach. Deswegen sehen Sie sie ja immer im Fernsehen zwischen den Werbeblöcken, Sie kennen sie.
Können sie sich daran erinnern? Sie hat es gemacht, sie macht es wieder, sie wird es nie wieder machen. Aber: sie macht's. Alle diese Wiederholungen von Leben werden wie Libellen mit Stecknadeln aufgespießt und durch die Mediatisierung gezerrt. Dafür gibt es einen roten Faden, der alles durchwirkt. Der rote Faden ist die Metapher für eine gute Geschichte. Ich hoffe, Sie haben eine gute Geschichte, denn mir fällt keine ein. Ich habe sie vergessen, ich habe alles verdrängt.
Können sie sich noch erinnern? Da beim Eingang, das Foto? Erinnern sie sich noch? Doch, das ist Teil der Inszenierung. Alles ist ein kleines Paradies, aus dem wir kommen, hier, wo wir sind, dort, wohin wir gehen. Wir sind umschlossen, unsere Herzen verworren, verlorren ist das Schlüsselin.
Wenigstens ein Foto? Diese letzte Erinnerung an die Vergangenheit: So war es, so sah das aus. Es ist nach unten abgesunken. Es war ein kleines, eingezäuntes Paradies à la française, das war einmal, das ist es.
Es ist eine dirigierte Welt, das behaupte ich, ein domestizierter hortus conclusus, ein Paradiesgärtlein eines Straßburger Meisters, heute einer Straßburger Meisterin, Sie erinnern sich: jener Zauber einer Maria mit all ihren himmlischen Jungfrauen und Kräutlein und einem wunderhübschen Gärtlein aufs Feinste gemalt, aber Sie erinnern sich nicht, weil Sie flanierend, städtisch eilend in die Ausstellung rannten, nur starken Reizen gegenüber empfindlich, nicht dem zarten Säuseln empfänglich. Sie müssen ja nicht jede Schaufensteranlage mit langem, suchendem, ja wertendem Blick mit ästhetischem Wohlgefallen und kritischem Kopf gegenüberstehen.
Das war falsch. Wir leben nur einmal. Das Fenster ist Teil der Ausstellung. Auch das Fenster ist einer der drei topoi der Malerei: Der Blick nach draußen. Da ist das Schaufenster die Umkehrung eines klassischen Bildes. Da ich nun aber bei der etwas genaueren Erklärung bin: Sie entsinnen sich: Da lag eine Schöne auf einem Diwan, ihre Verbundenheit mit der Irdischkeit demonstrierend. Oder: Fernöstlich; Ein Buddha lagert in all seinem wohligen Volumen inmitten der Mandelblüte. Nein, der wird es nicht. Ach, es ist noch profaner: Ein Penner ist ins Zentrum des Bildes gerückt, eine Vulgarisierung des Paradieses ins Hiersein, Emile Zola hätte sich darüber hergemacht: J'accuse! Ein Penner im Frühling, in jener Jahreszeit, in der es allerorten knospt, blüht und erwacht. Schön. Gott segne ihn.
Wie der Garten kein englisch-natürlicher Garten ist, sondern die Zurichtung der Franzosen auf das geistige Reißbrett, so ist auch das Foto bewußt gesetzt: Wachen Sie auf, gehen Sie, steigen Sie in den Bus, kommen Sie zu uns, da ist's warm. Das Foto zeigt einen Penner in Paris, und anstelle der Himmelspforte ist hinten eine Bushaltestelle: Zeit ist Geld: Eilen Sie.
Naja, ich muß ja nicht übertreiben. Sie sind doch sowieso eingeladen, zum Schauen bestellt, haben sicherlich die Fotoserien, diese Kurzcomics in den Vitrinen gesehen, gelesen, dieses Kommen und Gehen, diese Beobachtungen der Alltäglichkeit, die durch die Vitrine, das klassische Museumsstück, aus ihrer Banalität in die Besonderheit gewechselt wurden.
Das ist ein Kunstgriff seit dem Beginn konzeptueller Kunst, ein Kunstgriff auch, eine Vitrine auf ihre Wirkung zu untersuchen. Es gibt seit der Infragestellung visueller Präsentation schon länger die Auseinandersetzung mit dem Schaukasten. Aber:
Da ist Carine Doerflinger nicht fertig geworden, Sie müssen das entschuldigen, aber nach meiner Rede werden die lästigen Müllsäcke feierlich enthüllt, Sie arbeitet daran, und Sie werden Fotos aus dem Abendakt sehen: eine Hand, ein Arm, ein Kopf. Dann ist das Rätsel des Isidore Ducasse enthüllt, sind unsere Wünsche nach Sehen, nach Schönheit, nach Wissen erfüllt worden. Dann ist der Abend gerettet.
Dann haben Sie den Überblick, dann haben Sie alles gesehen, haben alles gehört, wissen alles, können befriedet auf Ihr Wohl anstossen. Man wird Sie zum letzten Mal fragen: Wie geht's? Geht's gut?
Ich hoffe, es geht Ihnen gut. Von mir werden Sie nichts erfahren.
Ich weiß, eigentlich wollten Sie das auch. Aber ich werde schweigen: Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Ich werde verdrängen. Denn ich weiß, was Jean Paul Sartre schrieb: Der Künstler ist ein Verdächtiger. Man verdächtigt ihn der Kriminalisierung der Wahrheit. Man muß nicht alles hinterfragen. Man muß nicht alles wissen. Dafür ist die Wissenschaft der Sprachphilosophie, dafür ist die Linguistik, schon kompliziert genug. Und Bilder sind eindeutig.
Die Welt ist schön: et nos in iis.
Einen schönen Ausklang dieses wunderschönen Tages in einer wunderschönen Welt. Sie hören: Ich kann ganz schön kitschig werden.

Dr. Gert Reising, Centre Culturel franco-allemand 6.12.2001




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Wendlingen - Glaskrähen im Anflug
„Umpf, umpf, upf“ oder „Rahaahaaaa“: klingt wie ein dadaistisches Lautgedicht, gehört aber zu den Installationen von Mirja Wellmann, die mit Objekten, Toneinflüsterungen und Textblättern akustischen Phänomenen nachspürt. Im Galerieverein Wendlingen lässt die Künstlerin jetzt krächzende Glaskrähen auf die Besucherohren los, baut jedoch auch individuelle Lauschkabinen für das konzentrierte Hörerlebnis.
Ganz auf die Tugenden des Sehens beschränkt bleibt demgegenüber Ulrike Bohlender mit ihren Aufnahmen aus denSchausälen großer Kunstsammlungen. In die Fotos wurden weiße Fäden eingenäht, die einzelne Personen aus den musealen Besuchergruppen isolieren. Ein eher schwacher Beitrag, denn hier wird nur das abgenutzte Konzept des betrachteten Betrachters variiert.
Die interessanteste Entdeckung des Wendlinger Ausstellungsterzetts ist die Karlsruher Balkenhol-Schülerin Carine Doerflinger, die vor allem mit ihrem aufgeweckten Materialeinsatz überzeugt. Da wächst ein knallroter Spaghettihaufen in die Höhe, in dem oben noch die Gabel drinsteckt, während die blütenweißen Spitzendecken an der Wand in Wahrheit aus Tabletten bestehen.
lei
Bis 11. April, Weberstr.2, Wendlingen
Mi-Sa 15-18, So 11-18 Uhr




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Mit ihren Objekten, Fotos und Videoarbeiten spricht Carine Doerflinger ganz bewußt Gefühle an, die aus Verletzungen der psychischen und physischen Integrität eines Menschen erwachsen. Die starke sinnliche Präsenz ihrer körperhaften, zugleich vertraut und befremdlich erscheinenden Objekte führt offen oder unterschwellig zu Vorstellungen von Schmerzen und zugleich deren Abwehr. Gerade in der perfekten Verarbeitung der unterschiedlichen von ihr verwendeten Materialien (z.B. Stoff, Latex, Polyester), die sie ihren formenden Vorstellungen unterwirft, wird Zwang als grundsätzliche Gegebenheit versinnbildlicht. Aus Schmerz davor die Augen fest zu verschließen bringt nur momentane Erleichterung.
Carine Doerflingers Bilderwelt bietet ein Wahrnehmungspotential, das seine nachhaltige Wirkung der existentiellen Dimension ihrer Arbeiten verdankt.

Dr. Dorothee Höfert, die Kunstreihe, November 1999




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Unverschämt streckt Carine Doerflinger die Zunge heraus, reckt sie, spielt mit ihr, verzerrt sie, läßt sie schweben.
Carine Doerflinger ist schlagfertig. Überbedeutung: das Werk biegt sich unter dem Gesagten.
Nicht nur unter dem, was sie selbst beiträgt, Banales, Klischees, Gemeinplätze, Intimes: ich bin selbst aufgefordert: ich assoziiere, interpretiere...Bei gedecktem Tisch darf ich meine eigenen Worte (Schmerzen) auftragen.
Aber Carine Doerflinger hält ihre Zunge nicht im Zaum.
Überschwenglich schüttet sie sich aus, äußert sich schamlos, sogar obszön.
Diese Zunge (Sprache )ist nicht hölzern, gestelzt, sie ist ein Organ, fleischig, muskulös, verformbar und unstet. Körperlich. Ein Stoff, der Worte hervorbringt,auf die Zunge hat, unbeständig, unter Spannung.
Indem sie gleichzeitig Teil hat am Schlucken und am Reden, vermittelt die Zunge zwischen dem Fleisch und dem Geist, dem Gefühl und dem Ausdruck, der Eingebung und der Intelligenz.
Ganz und gar diesem Spannungsfeld verschrieben, ist das Werk Carine Doerflingers in keiner Hinsicht konzeptuell. Das Konzept, das den Körper als zu empfindsam verleugnet, will verstanden werden; und dieses Verständnis genügt, um es auszuloten.
Im Gegensatz dazu läßt sich der Gedanke hier nicht auf eine Idee, auf eine genaue Botschaft reduzieren, weil er immer verkörpert ist.
Der Körper spiegelt sich in der Zunge wider. Anatomie: Körperkonzept.
Der Körper ist das Werkstück, jederzeit geht es um den Körper, wird offenkundig vom Körper geredet: die Zunge, der Mund... natürlich das Herz, auch die Lungen, die Gefäße, Arterien und Venen; die Haut, die Glieder...
Aber dieses Bild vom Körper - von einem Körper, der niemals stillsteht, sondern immer verbindet - ist immer in Frage gestellt: Carine Doerflinger setzt den eigenen Körper aufs Spiel. Das Werk ist immer in Bearbeitung. Schneidern, Nähen, Weben, Schweißen...
ihr Gedanke geht immer geduldig, beharrlich, arbeitsam ans Werk... manchmal sogar schmerzhaft.Das Gefühl, das sich in den Installationen von Carine Doerflinger ausdrückt, kommt aus dem Austausch zwischen den geistigen Bildern und ihren Abdrücken, die sich im Material abbilden. Die Zunge heraushängen lassen: etwas brauchen, auf etwas warten, etwas entbehren...
Es gibt nichts wegzunehmen im Ausgestellten: Carine Doerflinger ist die beharrliche Arbeiterin einer Bewegung der Sehnsucht.

Bruno Steiner, Meisterausstellung Schloß Bruchsal, Juli 1998
(Übersetzung Armin Osswald)